Mittwoch, 26. Oktober 2011

Vegan sein und Rauchen: der Kampf gegen die (Un-)Vernunft

Noch nie in meinem Leben habe ich mich so gesund, so abwechslungsreich, und ja (auch wenn Omnivoren es nicht gerne hören), so lecker ernährt. Jede Woche probiere ich Neues aus, sei es, dass ich die Vielzahl an veganen Restaurants u. Cafés in Berlin mit meiner Anwesenheit beglücke, sei es, dass ich mich Samstag morgens auf einem Kreuzberger Ökomarkt wiederfinde, in meinem Korb frische Rote Beete und Wildkräuter, die gerade erst vom Feld zu kommen scheinen, sei es, dass ich sogar Rohkostexperimente mit Spirulina-Riegeln oder Frischkornbrei wage.

In meiner Küche wohnt seit kurzem der Vitamix, den ich wohl heiraten werde. Kein Mann, den ich bisher kennengelernt habe, war so handwerklich begabt u. vermochte mich so gut zu ernähren wie mein allerliebster Mixer. Grüne Smoothies gehören seither zum Standardprogramm, auch wenn meine Nachbarn sich sicher über das allmorgendliche Rattern wundern, wenn ich Spinat mit Äpfeln, Kräuter mit Kiwis u. gefrorene Himbeeren mit Rucola püriere.

Seit ich mich vegan ernähre, versuche ich außerdem, das Ganze etwas ganzheitlicher anzugehen u. beschäftige mich Themen wie Nachhaltigkeit, Müll, Fair Trade usw., was dazu führt, dass das Kokosöl nicht nur in meiner Küche steht, sondern auch im Bad (Creme!), ich mir nicht mehr Chemie, sondern Henna u. Indigo ins Haar schmiere, ich einen Großteil meiner Badezimmerprodukte eliminieren konnte zugunsten von Heilerde (Gesichtsmaske, Shampoo!) u. Aleppo-Seife (Shampoo! und, naja, natürlich Seife) usw. usf.

Hört sich alles ganz gut u. vielversprechend an. Wenn da, ja wenn da nicht die eine Sache wäre, die nicht reinpasst: Nikotin. Zigaretten. Rauch. Volle Aschenbecher. Urxxx.

Wie kann ich mich einerseits so umfassend mit all diesen Themen, die meine Gesundheit u. das Wohl der großen weiten Welt betreffen, beschäftigen, und dabei einem der unsubtilsten Laster, die es gibt, nicht widerstehen? Und das mal abgesehen von der Tatsache, dass ich natürlich weiß, dass auch die Tabakindustrie nicht nur böse-kapitalistisch ist, sondern ihre Produkte im überwiegenden Fall an Tieren getestet werden?

Viele Jahre lang war ich die typische Gelegenheitsraucherin. Mal mehr, mal weniger, mal auch wochen- oder monatelang gar nicht. Als ich 2008 für ein halbes Jahr in New York war, habe ich dort nur eine einzige Zigarette geraucht aus Angst, sicher sofort verhaftet zu werden, und außerdem gab es fast keine Rauch-Buddies dort, so dass ich es auch nicht vermisst habe. Aber als ich zurück in Berlin war, habe ich - ziemlich bewusst - ein Kontraprogramm zu amerikanischer Askese gestartet: juhuu, Europa, endlich wieder rauchen/trinken/nackt sein, ohne dass die Leute gleich anfangen, für mich zu beten. Alkohol war nie so richtig mein Ding u. wurde es auch damals nicht: trinken hieß, bei Grillparties alkoholfreies Bier zu konsumieren, das war's. Geraucht habe ich damals dann allerdings viel - vor allem konstant. Dazu kam, dass so gut wie alle meine Freunde u. Bekannten rauchen. Wenn ich das Leuten erzähle, die nicht in Berlin wohnen, glaubt mir das keiner so recht bzw. kann es sich nicht vorstellen. Vielleicht liegt es auch nur an meiner ganz spezifischen Lebenswelt u. nicht nur an der Stadt (in der man aber in der Tat sicher noch an mehr Orten weiter unbehelligt rauchen kann als in anderen deutschen Städten dieser Tage). Fakt ist, die meisten Leute, mit denen ich zu tun habe, rauchen. Rauchen ist eine bonding experience, das weiß jede_r Raucher_in. Man geht in Pausen gemeinsam raus, man steht auf Parties zusammen, die gemeinsam gerauchten Zigaretten schaffen eine Verbindung, die Nichtrauchern wohl immer verschlossen bleiben. Das Problem ist, dass viele dieser Leute um mich zwar wie ich in Gesellschaft gerne rauchen, aber wenn sie alleine sind, durchaus auch mal tagelang auf Nikotin verzichten können. So wie ich, als ich noch Gelegenheitsraucherin war.

Das war nun vorbei - ich rauchte völlig unabhängig davon, wo ich war, ob allein oder zu mehreren, ob morgens oder abends. Hallo Sucht. Als ich bei 2 Schachteln täglich und damit 300 Euro im Monat war, beschloss ich, dass das so nicht weitergeht, holte mir Nikotinpflaster u. hörte von einem auf den anderen Tag auf. Das war Anfang Juni 2011. Stolz trug ich mein Pflaster, kaute unablässig Kaugummi zur Ablenkung u. wähnte mich clean. Naja, nicht so ganz. Nach wie vor liebte ich es, frischen Rauch zu riechen, schnüffelte hinter Rauchern auf der Straße her u. ging gerne weiter mit in Raucherkneipen. Ich sah mich als trockene Kettenraucherin, nicht als Nichtraucherin.

Anfang August wurde ich vegan, auch von einem auf den anderen Tag, von Omni auf null Tierprodukt. Meinen Freunden wurde ich langsam unheimlich: keine Tiere, kein Alkohol u. jetzt auch keine Zigaretten mehr. Ich war das wandelnde schlechte Gewissen aller, wobei ich wenig richtig negative Erfahrungen gemacht habe. Vielleicht wäre das in puncto Rauchen sogar hilfreich gewesen - dann hätte ich ständig neu argumentieren müssen u. wäre standhaft geblieben. So aber normalisierte sich mein ganz u. gar neuer Lebensstil für meine Umwelt, nur ich fragte mich manchmal, ob ich wirklich nie wieder in meinem Leben eine Zigarette rauchen würde. Das erschien mir nach wie vor unvorstellbar. NIE WIEDER? Ich habe ja immer gerne geraucht, u. gäbe es ein Nikotinpendant zu alkoholfreiem Bier, das nicht so lächerlich wie eine E-Zigarette ist, ich würde es kaufen.

So, und dann hatte ich irgendwann Stress, oh wie originell, u. bat eine Freundin um eine Zigarette. Und noch eine. Und noch eine. Dann ein paar Tage Pause. Dann wieder eine. Hier eine. Und da eine. Hier zwei. Und dort vier. Und hier sechs. Und da fünf. Irgendwann glaubte ich, alle müssten von meiner Schnorrerei genervt sein, u. kaufte eine Schachtel. Und sofort, wirklich sofort, waren wieder alle alten Muster da - jetzt rauche ich wieder eine Schachtel am Tag. Heute morgen habe ich drei Zigaretten geraucht, während ich dazu drei Gläser grünen Smoothie getrunken habe. Das ist unfassbar dämlich u. absurd u. doch die traurige Wahrheit. Neulich war ich mit einer Freundin beim veganen Stammtisch im Kopps, und wir waren tatsächlich die einzigen, die regelmäßig zum Rauchen rausgingen. Irgendwie scheint es nicht zu passen. In dem Punkt ist die vegane Lebenswelt der meisten Veganer_innen wohl eine andere als die meinige (u. die meiner Freundin, die das ebenfalls ironisch bemerkte).

Heute abend habe ich mir wieder Nikotinpflaster im Internet bestellt - während ich eine Zigarette in der Hand hielt. Ich hoffe, sie sind spätestens am Samstag hier. Dann darf ich erstmal nicht mehr rauchen, weil man sonst eine Nikotinvergiftung kriegen kann. Aber was ist danach? Nach wie vor finde ich die Vorstellung absurd, dass ich nie wieder (NIE WIEDER) in meinem Leben rauchen soll/darf/will. Aber die Vorstellung, dass ich weitere 10.000 Euro oder mehr in den nächsten paar Jahren für Zigaretten ausgebe, dass ich mir meine Lungen weiter freiwillig mit Gift verkleistere, ist ebenso absurd. Ich habe versucht, mir einzureden, dass es nicht zum vegan sein passt.

Aber die Logik funktioniert nicht bei mir, und ich weiß jetzt auch warum: ich bin nicht vegan, weil es gesund ist. Das ist ein überaus positiver Kollateralschaden, aber es ist nicht der Grund. Der Grund, warum ich vegan wurde, ist der, dass ich es aus ethischen Gründen für falsch halte, Tiere zu quälen u. zu töten, weil 'es halt schmeckt', aber ich genauso gut ohne diese Qualprodukte leben kann (oder sogar noch besser). Heute mittag kam ich dann auf den grandiosen Gedanken, dass ich dann in Zukunft nur noch veganen Tabak rauchen werde (gibt es ja). Kurz danach habe ich mir die Nikotinpflaster bestellt. Ich versuche mir jetzt folgende Logik selbst einzureden: ich bin als Primatin ein menschliches Tier u. quäle mich damit selber - warum sollte für mich gut sein, was für nichtmenschliche Tiere schädlich ist? Und dann denke ich: aber NIE WIEDER??? Hilfe............